Original „Speaking Freely“ von Gigi, veröffentlicht zur Blockzeit 836245 unter der CC BY-SA 4.0 Lizenz. Übersetzt von sefiro.
Neulich unterhielt ich mich mit einem Freund und wir kamen auf das Problem der Meinungsfreiheit zu sprechen. Ich sollte es nicht als Problem bezeichnen, denn es ist die Lösung eines Problems. Das Problem ist ein immerwährendes Problem, was eine andere Art ist zu sagen, dass es ein wirklich schwieriges Problem ist, ein Problem, mit dem wir immer konfrontiert sein werden, solange wir Menschen sind.
Das Problem ist folgendes: Was ist das Problem, das es zu lösen gilt? Es ist ein Problem von Problemen, was natürlich ein Metaproblem ist. Wir als Homo Sapiens sind ein denkender Organismus. Sowohl kollektiv als auch individuell. Denken ist das, was uns ausmacht, aber es ist nicht einfach Denken als Selbstzweck, es ist Denken, um Dinge herauszufinden, ohne ständig dabei umgebracht zu werden. Eine weniger brutale Form der Evolution sozusagen.
Die Menschen der Antike haben der Aufmerksamkeit einen sehr hohen Wert beigemessen. Auch die Aufmerksamkeit ist von einem Metaproblem geplagt: Worauf soll man seine Aufmerksamkeit richten? Um diese Frage zu beantworten, muss man darauf achten, worauf man seine Aufmerksamkeit richtet, und das unterscheidet einen klugen von einem weisen Menschen.
Das bringt mich zu einem der Dinge die mir derzeit Sorgen bereiten. Wir sind zivilisatorisch gesehen sehr klug, aber nicht sehr weise. Wir sind schlecht darin, auf das zu achten, worauf wir unsere Aufmerksamkeit richten, zumindest gegenwärtig. Und ich fürchte, dass sowohl die falschen Anreize, die das Internet plagen, als auch unser kaputtes Geld daran schuld sind.
Annahmen [n=0]
- ∀ i ≤ c1
- P! = NP2
- Leben ist es wert gelebt zu werden3
- Es gibt kein kostenloses Mittagessen4
- Meinungsfreiheit ist erstrebenswert5
Der Logos [n=1]
Es gibt einen Grund, warum Der Logos heilig ist. Aus dem gleichen Grund ist der Erste Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten der erste, d.h. der wichtigste.
Meinungsfreiheit ist nicht optional; sie ist nicht optional, weil wir frei sprechen können müssen, um frei denken zu können. Es gibt kein echtes Denken ohne echtes Sprechen, genauso wie es kein echtes Sprechen ohne echtes Denken gibt. Es muss erlaubt sein, dummes Zeug zu sagen, so wie es erlaubt sein muss, dummes Zeug zu denken.
„Der Vernünftige passt sich der Welt an, der Unvernünftige versucht beharrlich, die Welt an sich anzupassen. Daher hängt aller Fortschritt vom Unvernünftigen ab.“
— George Bernhard Shaw, Man and Superman
Der Grat zwischen Genie und Wahnsinn ist nicht ohne Grund schmal. Was idiotisch und was genial ist, ist oft schwer zu unterscheiden. Deshalb hängt aller Fortschritt vom Unvernünftigen ab.
Wie können wir den Unvernünftigen finden und ihm zuhören, wenn wir ihn zum Schweigen bringen? Schlimmer noch, wie können wir dem unvernünftigen/genialen Teil in uns selbst hören, wenn wir Angst haben, ihn in der Öffentlichkeit oder im Privaten zu äußern?
DiaLogos [n=2]
Auch freier und unbelasteter Dialog sind nicht optional. Wir müssen in der Lage sein, Dinge zu diskutieren, damit andere uns sagen können, wo wir idiotisch sind. Und wir sind alle idiotisch. Wir sind vielleicht auf unsere Weise idiotisch, aber wir sind alle idiotisch. Es gibt keine wertfreie Meinung, so wie es keine Sichtweise ohne blinden Fleck gibt. Das Beste, was wir tun können, ist, uns unserer Vorurteile und blinden Flecken bewusst zu werden und zu versuchen, ihnen entgegenzuwirken. Aber das können wir nicht individuell, das müssen wir kollektiv tun, und noch wichtiger: auf eine verteilte Art und Weise.6
Der Bau eines Turms von Babel ist eine schlechte Idee.
Verteilte Erkenntnis [n=m]
Auch öffentlicher Diskurs ist nicht optional. In der heutigen Zeit, insbesondere im Internet, ist öffentlicher Diskurs, gelinde gesagt, problematisch. Eines der Probleme ist, dass wir keine öffentlichen Räume haben, so dass wir gezwungen sind, private Räume als quasi-öffentliche Räume zu nutzen.
Die übliche Methode, sich öffentlich zu äußern, besteht darin, auf eine Plattform zu gehen und zu sagen, was man zu sagen hat. Das Problem ist natürlich, dass es nicht deine Plattform ist. Es ist die Plattform eines anderen. Deshalb kannst du von der Plattform ausgeschlossen werden.
Der Unterschied zwischen all diesen Plattformen liegt im Grad, nicht in der Art. Auf einigen Plattformen kann man für sexuelle Inhalte sprichwörtlich ins Gefängnis kommen. Auf anderen Plattformen kann man für politische Äußerungen ins Gefängnis kommen. Nicht einmal sprichwörtlich.7
„Geben Sie mir sechs Zeilen, die von der Hand des ehrlichsten Menschen geschrieben wurden, ich würde etwas darin finden, um ihn hängen zu lassen.“
— Kardinal Richelieu
Wenn jemand die Macht hat, jemand anderen von einer Plattform auszuschließen, dann wird diese Macht früher oder später auch genutzt und missbraucht. Ein ausreichend großer Skandal oder eine entsprechende Kontroverse wird gefunden oder inszeniert und *puff* ist der „problematische“ Nutzer verschwunden. Depersonalisiert, auf Knopfdruck. Egal, wie mächtig man ist.8
Aus diesem Grund können Plattformen für Meinungsfreiheit nicht existieren. Es kann nur Protokolle für Meinungsfreiheit geben.
Der Unterschied ist ebenso subtil wie wichtig: Wenn du ein Protokoll verwendest, bist du kein Nutzer im herkömmlichen Sinne. Du bist ein Sprecher. Du sprichst die gleiche Sprache wie andere, und wenn jemand anderes dich hören und verstehen kann, dann gibt es eine Verbindung. Es gibt keinen Vermittler. Die Sprache selbst ist der Vermittler. Sprachen sind Protokolle, und Protokolle sind Sprachen. Sie haben keine Nutzer, sie haben Sprecher.
Sprache ist naturgemäß frei. Du brauchst keinen Deutsch-Account, um diese Sätze zu lesen. Genauso wie dein Computer keinen HTTP-Account braucht, um die Nullen und Einsen zu verstehen, aus denen die Bytes bestehen, die wiederum die Zeichen dieses Satzes bilden. Beide sprechen die Sprache, daher könnt ihr euch verstehen.
Sprachen und Protokolle sind Netzwerkphänomene. Ohne Netzwerk keine Sprache. Ohne Peers keine Protokolle.
Deshalb ist Sprache, wie Geld, in einer komplexen Gesellschaft nicht optional. Wenn man in das eine oder das andere hineinpfuscht, zerbricht die Gesellschaft.
Es liegt an uns, es ist soweit [n=i]
Wir stehen an einem Wendepunkt in der Geschichte. Noch nie war unsere Zivilisation so vernetzt, so global, und sich ihrer Grenzen und Ignoranz so wenig bewusst.
Meine Hoffnung ist, dass hartes Geld und Meinungsfreiheit das wiederbeleben, was unsere Gesellschaft groß gemacht hat. Kooperation und verteilte Erkenntnis haben es uns ermöglicht, das Chaos des Dschungels hinter uns zu lassen. Sie haben es uns ermöglicht, von Auge um Auge zu einer klaren Sicht zu gelangen, zumindest teilweise. Sie haben es uns ermöglicht, von der Knappheit zum Überfluss zu gelangen. Sie haben uns ermöglicht, zur Wahrheit, zum Guten und zum Schönen zu gelangen. Sie ermöglichen es uns zu streben. Nach vorne und nach oben.
Der Kairos unserer Zeit ist ein persönlicher – vielleicht sind das alle kairotischen Momente.
Du musst entscheiden wie du weitermachen willst. Du musst entscheiden, welches Spiel du spielen willst; wie viel Verantwortung du bereit bist zu übernehmen. Willst du weiterhin in der Maschine stecken bleiben? Einer Maschine, die dich benutzt und ausnutzt? Eine Maschine, die sich selbst nährt, indem sie deine Zeit, deine Aufmerksamkeit und deinen Wert raubt und verschlingt? Oder hast du den Mut, die Kontrolle über deinen Wohlstand, deine Gesundheit, deine Gedanken und deine Sprache zu übernehmen?
Diese Entscheidung kann dir niemand abnehmen. Sie beginnt und endet mit dir.
💜
- Keine Information kann sich schneller als Lichtgeschwindigkeit verbreiten. Folglich stoßen alle Informationssysteme an physikalische Grenzen, wenn es um Synchronisation und Informationsweitergabe geht.
- Kryptographie funktioniert und wird weiterhin funktionieren. „[…] irgendwie lächelt das Universum bei Verschlüsselung.“
- Existenz ist real und gut. Weder Nihilismus noch Solipsismus sind wünschenswert. „[…] und es war gut.“
- Wir können nicht etwas für nichts haben. Freiheit erfordert Verantwortung; elektronisches Bargeld erfordert Zeit; Zeit erfordert Wärme.
- Meinungsfreiheit ist erstrebenswert, weil Freiheit der Tyrannei vorzuziehen ist, und der erste Schritt eines jeden Tyrannen ist es, die Meinungsfreiheit einzuschränken, Dissidenten zum Schweigen zu bringen, und Bücher zu verbrennen. Der zweite Schritt ist Völkermord.
- Es ist großartig, dass es immer mehr lange Dialoge in Form von Podcasts gibt. Der Nutzen dieser Gespräche geht jedoch verloren, wenn sie von einer zentralen Partei gehostet werden, weshalb ein offenes Podcast-Ökosystem so wichtig ist.
- Siehe Fälle im Vereinigten Königreich, in Saudi Arabien, etc.
- Noch nicht einmal amtierende US-Präsidenten sind vor einem Ausschluss von Plattformen sicher.